Vergaberechtliche Aspekte beim Betrieb von Kitas und Kindergärten – was die öffentlichen und freien Träger wissen sollten

Einführung

Das statistische Bundesamt veröffentlichte kürzlich, dass im vergangenen Jahr 2021 die Geburtenzahl stieg. Die Statistik hat für die Kommunen bei der Planung der örtlichen Kinderbetreuung eine zentrale Bedeutung, nicht zuletzt da Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr seit dem 1. August 2013 gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII über einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz verfügen.

Die Gewährleistung und Sicherstellung der Kindertagesbetreuung ist Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge. Die Kommunen haben folglich die Aufgabe, rechtzeitig und ausreichend Kinderbetreuungsangebote bereitzustellen. Wie werden die Kommunen, die diese Aufgabe nicht durch eigene Einrichtungen erfüllen, ohne Verstöße gegen das Vergaberecht gerecht? Nicht nur bei der Errichtung der Kita- und Kindergartengebäude ist das Bauvergaberecht zu beachten, sondern auch beim operativen Betrieb der Einrichtungen durch Dritte bleibt das Vergaberecht relevant.

Mit dieser Problematik befasste sich unlängst das OLG Jena (Beschl. v. 09.04.2021, Verg 2/20). Die Kommune führte hier ein Interessenbekundungsverfahren ausdrücklich außerhalb des Vergaberechts durch, das von einem freien Träger beanstandet wurde.

Vergaberechtliche Aspekte

Mit Erfolg: Kommunen sind klassische öffentliche Auftraggeber im Sinne von § 99 Nr. 1 GWB und somit an das förmliche Vergaberecht gebunden. Das OLG Jena (Verg 2/20) stellte insoweit unmissverständlich klar, dass auch der Betrieb einer kommunalen Kita auf vertraglicher Grundlage durch einen Dritten als öffentlicher Dienstleistungsauftrag über eine soziale Dienstleistung i.S. des § 130 Abs. 1 GWB einzustufen ist. Die Annahme einer gleichfalls dem Vergaberecht unterfallenden Dienstleistungskonzession i.S. des § 105 Abs. 1 Nr. 2 GWB lehnte das Gericht demgegenüber ab. Aufgrund des Vorrangs des Europarechts können weder das jeweilige Landesrecht noch das Bundesrecht besondere Ausnahmen vom Vergaberecht vorgeben, vielmehr sind die allgemeinen Ausnahmen der §§ 107 ff. GWB abschließend zu verstehen. Nach Auffassung des Gerichts steht einer Ausschreibungspflicht auch nicht entgegen, dass der Betreiber für die Vertragserfüllung lediglich einen Verlustausgleich erhält.

Daher kommt das OLG Jena zu dem Ergebnis, dass die Beauftragung eines Dritten die vorherige Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens nach der VgV erfordere, sobald der EU-Schwellenwert für soziale Dienstleistungen in Höhe von 750.000 Euro netto erreicht wird. Gesetzliche Ausnahmetatbestände, die eine Freistellung von der Ausschreibungspflicht rechtfertigen, seien nicht einschlägig.

Auswirkungen der OLG Jena Rechtsprechung

Der Beschluss des OLG Jena wirkt sich zwar zunächst nur inter partes, also zwischen den am Verfahren beteiligten Akteuren aus. Die rechtlichen Erwägungen des OLG Jena sind jedoch darüber hinaus grundsätzlich auch für alle anderen Vergabekammern sowie Vergabesenate der Oberlandesgerichte „bindend“. Denn Vergabenachprüfungsinstanzen anderer Bundesländer, die von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichtes (oder des Bundesgerichtshofes) abweichen wollen, sind zur sog. Divergenzvorlage verpflichtet, d.h. die Sache ist vorab dem Bundesgerichtshof zur Klärung vorzulegen. Vorbehaltlich einer zukünftigen entgegengesetzten Entscheidung des Bundesgerichtshof ist damit der Betrieb von Kitas oder Kindergärten nach dem Vergaberecht auszuschreiben und zu vergeben.

Der Beschluss dürfte auch Auswirkungen auf andere Bereiche der Kinder, Jugend- und Familienhilfe entfalten, sofern der Betrieb der Einrichtung durch den jeweiligen Dritten auf vertraglicher Grundlage im Wege der Erfüllungsprivatisierung erfolgt. Diverse Oberlandesgerichte haben in der Vergangenheit wiederholt entschieden, dass der Abschluss von Leistungsverträgen im Sozialwesen (z. B. nach SGB VII) einen öffentlichen Auftrag in der Form entgeltlicher Dienstleistungsaufträge gemäß § 103 Abs. 1, Abs. 4 GWB darstellen kann.

Um festzustellen, ob es sich im Einzelfall um einen sozialen Dienstleistungsauftrag (Schwellenwert: 750.000 €) oder eine Dienstleistungskonzession (Schwellenwert: 5.350.000 €) handelt, sind für jeden Einzelfall die konkreten vertraglichen Vereinbarungen zu analysieren.

Ausblick

Trotz der Bindung an das Vergaberecht verbleiben den Kommunen wesentliche Gestaltungsspielräume, sofern sich die eigenständige Vorhaltung von Einrichtungen der Kindertagesbetreuung nicht als zweckmäßig erweisen.

Denn bevor Dritte mit der Erfüllung der eigenen Aufgaben beauftragt werden, sollten Kommunen stets überprüfen, ob von den Gestaltungsmöglichkeiten einer vergabefreien öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit, geregelt in § 108 GWB, Gebrauch gemacht werden kann. Die interkommunale Kooperation hat sich in vielen Bereichen der kommunalen Daseinsvorsorge zu einer wichtigen strategischen Option der (gemeinsamen) Aufgabenwahrnehmung entwickelt. Denn durch die Bündelung von Ressourcen, Infrastruktur und Knowhow sowie der Erfahrungs-, Erkenntnis- und Wissensaustausch zwischen den beteiligten Partnern können nachhaltigen Synergieeffekte erzielt werden, die einerseits die Folgen knapper Kassen abfedern und andererseits die Qualität der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen der Daseinsvorsorge gewährleisten oder gar erhöhen. Neben gesellschaftsrechtlichen Lösungsansätzen (Gründung einer interkommunalen Gesellschaft) enthalten gerade auch die Landesgesetze über die kommunale Zusammenarbeit vielfältige und praxiserprobte Kooperationsmöglichkeiten (z. B. öffentlich-rechtliche Vereinbarungen, Zweckverbände, Anstalten öffentlichen Rechts), die sich – bei entsprechender Ausgestaltung – vergaberechtskonform realisieren lassen.

Sofern eine kommunale Zusammenarbeit nicht zweckmäßig erscheint, ist zwar hinsichtlich der Wahl des Dienstleisters das förmliche Vergaberecht zu beachten. Dies gilt auch unterhalb der EU-Schwellenwerte, wie ein Blick in § 49 UVgO verdeutlicht. Jedoch verfügt die Kommune bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen über eine größere Flexibilität hinsichtlich der Wahl der Verfahrensarten und -modalitäten. So stehen dem Auftraggeber das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, der wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft nach seiner Wahl zur Verfügung (vgl. § 130 Abs. 1 GWB). Zudem greifen ergänzende Verfahrensregeln (vgl. § 64 ff. VgV) sowie ein erweiterter Handlungsspielraum bei möglichen Auftragsänderungen (§ 130 Abs. 2 VgV).

Wir beraten und vertreten unsere Mandanten sowohl auf Auftraggeber als auch Bieterseite in allen Bereichen des nationalen und europäischen Vergaberechts. Unser Beratungsspektrum erstreckt sich von der Strukturierung des Vergabeverfahrens bis hin zur gerichtlichen Vertretung vor den zuständigen Nachprüfungsinstanzen auf nationaler und europäischer Ebene. Zum Beratungsangebot gehören damit etwa auch die Strukturierung von Ausschreibungen, die Prüfung von Teilnahmeanträgen und Angeboten, die rechtliche Begleitung bei den Verhandlungen sowie - im Bedarfsfall - Risikoeinschätzungen und Handlungsalternativen.

Sie haben Fragen zu unserer Beratung? Wir sind gerne für Sie da.