Ansatz von Fehlfahrten bei der Gebührenkalkulation im Rettungsdienst

Hintergrund 

Die Berücksichtigung von Fehlfahrten ist in der Vergangenheit immer wieder bei Erörterungsgesprächen mit den Vertretern der Kassenverbände in NRW kontrovers diskutiert worden.1  

Sozialversicherungsrechtlich ist die Versorgung mit Krankentransportleistungen in § 133 SGB V geregelt. Hierzu sieht der § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB V vor, dass die Vergütungen zwischen den Trägern des Rettungsdienstes (in NRW sind dies die Kommunen oder Kreise, in anderen Bundesländern auch Unternehmen und anderweitig dafür geeignete Einrichtungen) und den Krankenkassen geschlossen werden, soweit nicht die Entgelte für Krankentransportleistungen durch landesrechtliche oder kommunale Bestimmungen geregelt werden. Eine landes- oder kommunalrechtliche Vergütungsregelung gilt entsprechend § 133 Abs. 2 SGB V vorrangig dem Bundesrecht. Ein solches, dem Bundesrecht vorrangiges Landesrecht liegt in NRW in Form des Rettungsdienstgesetzes NRW (RettG NRW) und dem Kommunalabgabengesetz NRW (KAG NRW) vor.2

Obwohl die Krankenkassen in der Entgelt- bzw. Gebührengestaltung einzubinden sind, ist Gebührenschuldner der Benutzer, also in der Regel der Versicherte, der eine Transportleistung bestellt. Die Krankenkasse ist am Gebührenschuldverhältnis entsprechend nicht beteiligt. Über diesen Umstand darf auch nicht hinwegtäuschen, dass aus Gründen der Praktikabilität häufig eine sogenannte Direktabrechnung mit den Krankenkassen erfolgt.3

Im Verhältnis zwischen dem Versicherten und der Krankenkasse gilt wiederum § 60 Abs. 1 SGB V, der die Krankenkassen verpflichtet die sogenannten Fahrkosten zu übernehmen. Hierzu gehören die Kosten der Fahrten sowie des Transportes eines Patienten, sofern diese aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind.  Wird allerdings vor Ort entschieden, dass ein Transport in ein Krankenhaus nicht notwendig ist, sehen die Krankenkassen nach dem § 60 SGB V keine verpflichtende Kostenübernahme und es entsteht eine sogenannte Fehlfahrt.5

Seit der Novellierung des Rettungsdienstgesetzes NRW (RettG NRW) im Jahr 2015 sieht das Landesrecht für NRW (welches wiederum subsidiär gilt) jedoch vor, dass diese Kosten dennoch von den Krankenkassen zu tragen sind. Hierzu heißt es im § 14 Abs. 4 RettG NRW: „Auch Fehleinsätze können in die Gebührensatzungen als ansatzfähige Kosten aufgenommen werden“.6  In einem Erlass ebenfalls aus dem Jahr 2015 führt das Land NRW hierzu weiter aus, dass Fehlfahrten als Kosten in der Gebühr berücksichtigt werden können, sofern diese nicht auf ein Fehlverhalten des Rettungsdienstes zurückzuführen sind.

Entwicklung in Berlin und Brandenburg

Die Fehlfahrtenthematik bei der Gebührenkalkulation im Rettungsdienst ist offensichtlich keine Sonderthematik in NRW. Nach Informationen der Märkischen Onlinezeitung (MOZ) hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bereits für das Land Berlin geurteilt, dass die Krankenkassen die Kosten für Fehleinsätze nicht zu tragen haben, sondern diese durch Berlin selbst zu tragen sind. Entsprechend diesem Urteil streben die Krankenkassen im benachbarten Bundesland Brandenburg eine ähnliche Klärung an.

Allerdings gibt es zwischen Berlin und Brandenburg einen womöglich entscheidenden Unterschied. In Berlin gibt es keine dem Bundesrecht vorrangige landesrechtliche Regelung, die einen Kostenansatz von Fehlfahrten, ähnlich der Regelung in NRW, vorsieht. In Brandenburg ist das Landesrecht jedoch ähnlich dem in NRW ausgestaltet. Dies findet sich im § 17 Abs. 4 des Brandenburgischen Rettungsdienstgesetzes (BbgRettG). Da das Landesrecht der Forderung der Krankenkassen somit im Weg steht, klagen diese in Brandenburg nun im Rahmen einer Normenkontrollklage. Im Wege dieser Klage soll gerichtlich festgestellt werden, ob die landesrechtlichen Vorschriften im Einklang mit den verfassungsrechtlichen und bundesgesetzlichen Grundsätzen stehen.8

Derzeit haben in Brandenburg laut Presseinformationen die Kostenträger ihr Einvernehmen gegenüber vielen Trägern von Rettungsdiensten lediglich unter Vorbehalt erteilt oder sogar Widerspruch in die aktuelle Gebührensatzung eingelegt.9 Hintergrund ist offenkundig, dass vor endgültiger Kostenübernahme durch die Krankenkassen die Entscheidung über das Normenkontrollverfahren abgewartet werden soll.

Fraglich ist zudem, wer die Kosten im Falle einer analogen Entscheidung zum Berliner Urteil tragen muss. Erste Träger des Rettungsdienstes in Brandenburg haben hierzu in Satzungsentwürfen die Option implementiert, die Gebühren mit den Benutzern (in der Regel die Versicherten) direkt abzurechnen. Dies könnte, so die Sorge von Kritikern gegenüber der Haltung der Krankenkassen, dazu führen, dass weniger sowie zögerlicher Krankentransportleistungen bestellt werden, aus der Sorge die Kosten selbst tragen zu müssen. 10

Bedeutung für NRW

Da in NRW ähnliche landesrechtliche Regelungen vorliegen wie in Brandenburg, lohnt es die dortige Entwicklung zu beobachten. Da das Verfahren jedoch noch offen ist, könnte es übereilt sein, bereits jetzt Konsequenzen für die Gebührenkalkulationen im Rettungsdienst in NRW anzunehmen. Die ausgeurteilte Rechtslage in Berlin sollte zudem nicht als Maßstab für andere Bundesländer unterstellt werden, da es hier keine analoge landesrechtliche Regelung gibt.

 


1 Wurde in eigner Mandatserfahrung beobachtet.
2 Vgl. § 133 Abs. 1 und 2 SGB V, §§ 12 und 14 RettG NRW sowie § 6 KAG NRW.
3 Vgl. Heberlein, in: BeckOK Sozialrecht, 65. Edition, München, Stand 01.09.2022 § 60 SGB V Rn. 49.
4 Vgl. § 60 Abs. 1 SGB V.
5 Vgl. Weber-Rath (11.05.2023): Kein Kassen-Geld für „Fehleinsätze“ – was Betroffenen droht. In: MOZ.de.
6 Vgl. § 14 Abs. 4 RettG NRW.
7 Vgl. MGEPA Nordrhein-Westfalen (2015): Abrechnung von Fehlfahrten im Rettungsdienst im Hinblick auf die No-    vellierung des Rettungsdienstgesetzes Nordrhein-Westfalen. Schreiben vom 24.06.2015.
8 Vgl. Weber-Rath (11.05.2023): Kein Kassen-Geld für „Fehleinsätze“ – was Betroffenen droht. In: MOZ.de.
9 Vgl. Thiessen (17.08.2022): Müssen Patienten künftig selbst den Rettungswagen bezahlen? In: MOZ.de.
10 Vgl. Weber-Rath (11.05.2023): Kein Kassen-Geld für „Fehleinsätze“ – was Betroffenen droht. In: MOZ.de.